Artikel aus: Stadtmagazin Meier, März 1996

BürgerInnen zweiter Klasse

Nachgehakt

„Steuerklasse eins – Wahlrecht keins“ oder „In Südafrika dürfen jetzt alle wählen. In Deutschland noch nicht“ sind Slogans des Mannheimer MigrantInnenvereins „Die Unmündigen“ zum Wahlkampf. Mit verschiedenen Protestaktionen wollen sie auf die Situation von Menschen hinweisen, die in der zweiten und dritten Generation in Deutschland geboren sind und hier leben, aber per Paß und von Deutschen als „Ausländer“ definiert werden. 18 Prozent der Mannheimer Bevölkerung sind demnach von den Landtagswahlen am 24. März ausgeschlossen. MEIER sprach mit zweien der „Unmündigen“: Teresa Jurado, 27, Kind spanischer Eltern, in Viernheim geboren, aufgewachsen in Weinheim, studiert Soziologie in Mannheim. Senem Aras, 21, Kind kurdischer Eltern aus der Türkei, in Springe bei Hannover geboren, wuchs in Schaumburg auf und studiert Politologie in Mannheim.

MEIER: Ihr seid hier geboren, lebt hier, habt aber keinen deutschen Paß. Welchen Aufenthaltsstatus habt ihr?

Senem: Ich habe eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Wenn ich mir was zuschulden kommen lasse, kann ich in die Türkei ausgewiesen werden.

Teresa: Da Spanien zur EG gehört, bin ich „privilegiert“. Ich habe eine Aufenthaltsberechtigung, was nicht heißt, dass ich keine Arbeitserlaubnis beantragen muss.

MEIER: Warum beantragt Ihr nicht die deutsche Staatsbürgerschaft?

Teresa: Wir wollen keine individuelle, sondern eine politische Lösung. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung. Artikel 116 des Grundgesetzes definiert die deutsche Staatsbürgerschaft über das Blut. Dieser Artikel muss zugunsten des Bodenrechts – wie in den meisten anderen Ländern – verändert werden.

Senem: Das Blutsrecht ist rassistisch und völkisch. Mein Lebenslauf ist identisch mit dem meiner deutschen Nachbarin. Außerdem sehe ich es überhaupt nicht ein, mich einer Prüfung zu unterziehen, in der ich nachweisen muss, dass ich der deutschen Sprache mächtig bin und der deutschen Kultur nahe stehe – was auch immer das sein mag.

MEIER: Habt ihr schon mal überlegt, ob ihr nicht in die Heimatländer eurer Eltern auswandern wollt?

Teresa: Das war manchmal so, und ich bin auch oft nach Spanien gereist, fühlte mich aber letztlich doch fremd dort. Hier, in Deutschland ist mein Lebensmittelpunkt, ich habe auch nie woanders gelebt, fühle mich hier zuhause und möchte deshalb auch hier bleiben und als mündige Bürgerin behandelt werden.

Senem: Nach Rostock, Hoyerswerda usw. wollte ich weg. Aber die Türkei ist für mich nur Urlaubsland, ich gehöre dort nicht hin. Ich werde hier bleiben, und der Gesetzgeber muss kapieren, dass wir keine vorübergehende Erscheinung sind.

Interview: Nadja Encke