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Artikel aus: die tageszeitung (taz) vom 12. November 2001
Die „Unmündigen“
Scharfe Zungen
Die Verdienste Manfred Kanthers, der Galionsfigur deutscher Einwanderungspolitik, sind im Sog des CDU-Spendenskandals fast untergegangen. Dabei hat er noch vor wenigen Jahren einen bedeutenden Preis für sein herausragendes Engagement erhalten: Im Europäischen Jahr gegen Rassismus 1997 ist er mit dem Mannheimer Antirassismuspreis ausgezeichnet worden. Ehre, wem Ehre gebührt, hieß es denn auch in der Laudatio: „Manfred Kanther hat diesen Preis zu Recht bekommen. Er war der Garant für kulturelle Vielfalt in Deutschland. Wie kein anderer hat er ethnische Unterschiede betont und Leitlinien gesetzt. Er bewahrte uns vor einem Schmelztiegel der Kulturen. Seine Vision der multikulturellen Gesellschaft war immer geprägt von dem Motto „Alle anders alle gleich“, was er auch konsequent in die praktische Politik umsetzte. Nach wie vor sind alle Deutschen gleich und alle Ausländer anders. Und weil das Andere nicht gleich werden kann, ist und bliebt Deutschland kein Einwanderungsland ...“ So die Festredner des Jux-Preises, Bülent Yarar, Ibrahim Cindark, Hüseyin Ertunc und Aziz Demir von den „Unmündigen“. Motto der MigrantInnenorganisation der zweiten und dritten Generation: Mit Satire und Ironie gegen Rassismus und bornierte Einwanderungspolitik.
Die Unmündigen haben zum Gegenangriff auf die Mehrheitsgesellschaft geblasen. Ihre Waffe: eine Sprache, die scharfzüngig mit der verräterischen Begrifflichkeit offizieller Zuwanderungspolitik spielt und gnadenlos ihre Pfeile in die heuchlerische Diskussion um die „Ausländer“ in Deutschland schießt. Ihre Mission: der Mehrheitsgesellschaft den Spiegel vorhalten und die MigrantInnen aus der verordneten Unmündigkeit herausführen. Sie sind eine intellektuelle Avantgarde, die ihre Wurzeln in der Arbeiterklasse nicht vergessen hat. Sie treffen mit ihren Analysen deutscher Einwanderungspolitik ins Schwarze und versteigern sich dennoch nicht in geistige Höhenflüge, sondern sind mit ihren Aktivitäten am Puls des Migrationsalltags.
Ihr Credo: Die wahren Auseinadersetzungen finden zwischen Mehrheitlern und Minderheitlern statt. Die Mehrheitsgesellschaft muss sich einem emanzipatorischen Prozess stellen, an dessen Ende eine neue Gesellschaft steht. Ihre Bündnispartner suchen sich die Unmündigen unter Menschen, die auf die eine oder andere Weise Minderheiten angehören Migrantengruppen, schwarzen Deutschen, Roma -, aber auch bei Mehrheitlern, die ihre Wahrnehmung der deutschen Einwanderungsrealität teilen. Auch mit der Kanak-Attak-Bewegung fühlen sie sich verbunden.
Aufsehenerregende Aktionen sind für die Unmündigen das Mittel der Wahl, um ihre wohl durchdachten Inhalte in die Öffentlichkeit zu bringen, wobei die Perspektive der Multikulti-Feste einfach umgedreht wird.
Veronika Kabis
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