"gesternJahre – 50 Jahre gastArbeiter"

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Anlass der Ausstellung

1999 feierte die Bundesrepublik ihre 50-jährige Gründung. Man sprach und schrieb über den ‚deutschen’ Wiederaufbau und das ‚deutsche’ Wirtschaftswunder. Dass man bei dieser Gelegenheit die Migranten ausblendete, ist nur ein Ausdruck der gesellschaftspolitischen Schizophrenie Deutschlands. An diese Gruppe erinnern sich ‚Deutsche’, wenn sie an ‚Ausländer’ und ‚Probleme’ denken – wie ‚Kriminalität und Abschiebung’ oder ‚Parallelgesellschaften und Abschottung’ – bzw. wenn sie im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Rechung den Beitrag der ‚Ausländer’ zum Bruttosozialprodukt und den Sozialversicherungen hervorheben wollen. Als integralen Bestandteil der deutschen Geschichte und Gegenwart finden die Migranten selten Erwähnung.

Vor 50 Jahren, am 20. Dezember 1955, unterschrieb Deutschland mit Italien den ersten Anwerbevertrag über Arbeitskräfte. Es folgten weitere mit Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). Nachdem der Nachschub an ‚deutschen’ Migranten Mitte der 50er Jahre langsam versiegte, benötigte das ‚deutsche’ Wirtschaftswunder neue Menschenreserven, die es in den Mittelmeerländern vorfand. Es wurden junge und gesunde Menschen gebraucht, die einige Jahre arbeiten und dann wieder gehen sollten. Aber viele der sogenannten ‚Gastarbeiter’ blieben, auch wenn sich ihnen Deutschland nur ungern als eine neue Heimat anbot.

Anlässlich der 50-Jahr-Feier dieses anderen deutschen Jubiläums und um der ‚deutschen’ Verdrängungskunst gegenüber den Migranten entgegenzuwirken, präsentieren wir die Ausstellung „gesternJahre – 50 Jahre gastArbeiter“. Sie zeigt neben persönlichen Fotos der Gastarbeiter von einst einen Dokumentarfilm in dem die Angehörige jener Generation von einst von ihrer deutschen Geschichte und Gegenwart erzählen. Die zentrale Ausstellung fand im Dezember 2005 im Kunstladen (Mannheim) statt. Zeitgleich dazu waren Teile der Ausstellung in sechs Mannheimer Migrantenvereinen und Einrichtungen zu sehen.

Mit „gesternJahre – 50 Jahre gastArbeiter“ wurde in Mannheim zum erstenmal eine Ausstellung zur Geschichte der ‚Gastarbeiter’ präsentiert. In letzter Zeit fanden und finden in verschiedenen deutschen Städten Ausstellungen zum Thema der Arbeitsmigration statt, wie u.a. in München „Für 50 Mark einen Italiener“ (2000), in Köln „40 Jahre Fremde Heimat“ (2001), in Hamburg „Geteilte Welten“ (2003), in Frankfurt „Von Fremden zu Frankfurtern“ (2004) und in Stuttgart „Bist du Deutsch?“ (2005). Die bisher bundesweit umfangreichste Dokumentation stellt die von der Kulturstiftung des Bundes finanzierte Ausstellung „Zwei drei Jahre Alemanya…“ dar, die bis Januar 2006 in Köln zu sehen war. Drei Aspekte unterscheiden „gesternJahre“ nicht nur unwesentlich von einigen dieser Ausstellungen.

Konzept und Aufbau

„gesternJahre“ sucht nicht die gewohnten Kunsthäuser und Museen auf. Neben der zentralen Ausstellung im Kunstladen wird sie in sechs verschiedenen Vereinen und Einrichtungen der Migranten präsentiert. Dadurch erreicht sie nicht nur die üblichen Museumsbesucher, sondern die ‚Gastarbeiter’ selbst, die damit eine Gelegenheit zur Reflexion über die eigene wichtige Rolle in der deutschen Nachkriegsgeschichte bekommen. Außerdem stellt eine Kooperation von Migrantenvereinen in diesem Umfang zumindest für Mannheim eine Neuheit dar.

„gesternJahre“ reduziert die Migranten nicht zu Ausstellungsobjekten, als ob sie Menschen vergangener Tage wären. Anhand von Selbstzeugnissen, wie persönliche Fotografien von früher und Gesprächsaussagen von heute präsentiert sie die Migranten als Akteure der deutschen Nachkriegsgeschichte. Durch ihren Verzicht auf ‚fremde’ zeithistorische Dokumente fängt sie ausschließlich die Perspektive der ‚Gastarbeiter’ auf sich und ihre neue Heimat ein. Somit subjektiviert und vergegenwärtigt sie die gesellschaftspolitische Dimension der Arbeitsmigration, statt sie museal zu objektivieren.

„gesternJahre“ zeigt den bundesweit ersten Dokumentarfilm mit ‚Gastarbeitern’ aus fünf Herkunftsländern. Der Film besteht aus Sequenzen von Gesprächen mit einem ‚bosnischen’ Selbstständigen, einer ‚griechischen’ Rentnerin, einem pensionierten ‚italienischen’ Restaurantinhaber, einem ‚kurdischen’ Rentner, einer ‚spanischen’ Krankenschwester und einer ‚türkischen’ Hausfrau. „gesternJahre“ beansprucht weder mit den präsentierten Bildern, noch mit dem Dokumentarfilm repräsentativ zu sein. Aber die persönlichen Fotos und die Aussagen der Gesprächspartner Verbindungsstellen einer gemeinsamen deutschen Geschichte der ‚Gastarbeiter’ auf.

Dank des regen Zuspruchs konnten wir für die Ausstellung etwa 500 private Fotos sammeln. Da nicht alle Fotografien ausgestellt werden konnten, entschieden wir uns bei der zentralen Ausstellung für die im Kontext des Projekts symbolisch bedeutsame Zahl von 50 Bildern. In den Migrantenvereinen und –einrichtungen sind je nach Größe der Räumlichkeiten zwischen 10 und 20 Bilder zu sehen. Eine inhaltliche Sichtung der uns übergebenen Fotos ergab die fünf Themenblöcke: Alte Heimat, Die Migration, Die Arbeit, Die Wohnheime und Baracken, Neue Heimat. Dabei stellten die Bilder zur Neuen Heimat den größten Bereich dar, weshalb er auch in der Ausstellung entsprechend stark ist. Diese Bilder, die den Prozess der allmählichen Niederlassung widerspiegeln, lassen sich in weitere Unterkapitel  wie Kinder, Familienbesuche, religiöse Feiern, Feste, Krankheiten, Pose, Autos, Demonstrationen, TV, Urlaub, Ausflüge, Mannheim und Nachbarn gliedern. Die Ausstellung präsentiert zu den Bildern Texttafeln, die Gesprächsausagen unserer Interviewpartner für den Film wiedergeben. In wenigen Fällen erzählen die Texte die Geschichte einzelner Bilder. Zumeist stehen Bild und Text jeweils autonom für sich.

Mitarbeiter und Kooperationspartner

Das Gesamtprojekt kam durch die Unterstützung von vielen Einzelpersonen und Einrichtungen zustande. So bestand die Projektgruppe nicht nur aus Mitgliedern der „Unmündigen“. Viele Gleichgesinnte ließen sich für die Idee begeistern und arbeiteten ein ganzes Jahr an ihrer Verwirklichung mit. Im Namen aller Projektmitarbeiter geht unser großer Dank an:

Unsere Gesprächspartner für den Film: Zaide Akinicir, Giovanni Corbari, Angeliki Gountenidiou, Hüseyin Güler, Kemal Hodzić, Rosa (Gómez Rodriguez) Schmidt

Unsere Kooperationspartner der Ausstellung: Bosnisches Kulturzentrum, Café Filsbach, DIDF Mannheim, Griechische Begegnungsstätte, Italienische Katholische Mission, Kroatische Katholische Mission, Kunstladen, Kurdisches Volkshaus

Für ihre Fürsprache danken wir des weiteren Claus Preißler (Ausländerbeauftragter der Stadt Mannheim) und PD Dr. Inken Keim (Institut für Deutsche Sprache). Und ohne die Förderung durch das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend im Rahmen des entimon-Aktionsprogramms hätte das Projekt zumindest nicht in der vorliegenden Form durchgeführt werden können.